Ein Roadtrip durch Nordamerika. In Farbe.
The Rise & The Fall
Manchmal geht’s auch einfach. Der nette ältere Herr im Grenzhäuschen fragt freundlich, was ich schon wieder in Kanada wolle und woher ich komme. Ich erkläre ihm kurz die Sache mit dem Road Trip und dass Chicago ein „nice stay“ war. „City!“ Was? Chicago sei kein „State“ sondern eine „City“, verbessert mich der nette ältere Herr.
Richtig. Und vielleicht sollte ich noch mehr an meiner Aussprache feilen. Aber als ich das Missverständnis aufkläre, winkt er mich durch. So schnell ging der Grenzübergang noch nie. Mal gucken, wie mein state, äh, stay in Toronto wird…
Es lockt das Wahrzeichen. War der Chicagoer Willis Tower schon verdammt hoch, kann der CN Tower darüber nur müde lächeln. Der Fernsehturm war mit seinen 553 Meter noch bis 2007 das höchste freistehende Gebäude der Welt.
Ich muss kurz schlucken, als das Mädel an der Kasse 42 kanadische Dollar (27 Euro) für die Fahrt nach oben verlangt. Aber sollte man vielleicht mal gemacht haben, denke ich mir und rücke die Scheine raus (nicht ohne typisch deutsch nachzufragen, warum der CN Tower teurer als der Willis Tower ist – weiß sie nicht). Die Fahrt mit dem Aufzug an der Tower-Außenwand ist allerdings spektakulär. Und oben angekommen, ist klar, wie der Preis zustande kommt: Hier haben (anders als in Chicago) die Fensterputzer ganze Arbeit geleistet. Der Blick ist ungetrübt.
Toronto ist gebäudetechnisch quasi das New York Kanadas. Unzählige Hochhäuser prägen das Stadtbild. Und viele weitere sind in der Mache.
Üppig dimensioniert wirkt auch das Rogers Centre, unten, gleich neben dem Tower. Hier tragen die Toronto Blue Jays ihre Baseballmatches aus.
Ursprünglich hieß das Ding mal SkyDome, doch nachdem Ted Rogers mit seinem Telekommunikationsunternehmen Anteile kaufte, musste der Name eben seinem Namen weichen. Gut, dass wir sowas in Deutschland nicht haben. Wäre ja schlimm, wenn das Dortmunder Westfalenstadion irgendwann den Namen einer Versicherung oder so tragen würde.
Mr. Rogers übrigens steht in Metall gemeißelt vor dem Stadion.
Die größte Stadt Kanadas (2,6 Millionen Einwohner) wirkt nicht ganz so hektisch wie etwa New York. Das liegt auch an den Streetcars. Diese Straßenbahnen brauchen eine gefühlte Ewigkeit um von A nach B zu gelangen. Alle 50 Meter wird gehalten. Und dann langsam weitergefahren. Als effizienzgepolter Deutscher möchte man so manches Mal in den Sitz beißen. Die Nerven werden vor allem dann strapaziert, wenn man’s eilig hat.
Aber habe ich ja nicht. Es ist Messe in der Stadt. CNE. Canadian National Exhibition. Und ich habe noch eine Stunde und 15 Minuten Zeit, um umsonst reinzukommen. 13 Uhr ist Deadline, dann kostet’s. 11:45 Uhr fahre ich im Osten los, die CNE liegt im Westen. Sollte klappen.
Long story short: Ich bezahle 15 Dollar.
Die CNE ist eine Mischung aus Verbrauchermesse, Krimskramsmarkt und Kirmes.
Neben Fahrgeschäften locken Agrarausstellungen, Hundevorführungen, Billigklamotten, Schmuckstände, Fressbuden sowie allerlei anderer Kram. Sehenswert ist allerdings eine asiatische Lichtausstellung.
In einem abgedunkelten Bereich der Messe haben Künstler Stoff, Draht und Licht zu beeindruckenden Gebilden kombiniert.
Filigran geht es auch eine Halle weiter zu. Während der Nachwuchs in der Kunst des Sandburgenbauens unterwiesen wird…
…haben einige Experten da schon mal etwas weitergedacht.
Weniger nachgedacht haben dagegen wohl die Besitzer dieses Standes.
„D-Day Wear“ ist jetzt wohl eher im Fashionbereich „Geschmacklos“ einzuordnen. Aber gut, die Kanadier standen ja damals auf der richtigen Seite. Mancher feiert das wohl noch heute.
Und wie praktisch, das gleich nebenan der Nachwuchs für den Krieg rekrutiert wird.
Aber, das muss man den Kanadiern lassen…in diesem liberalen Land darf jeder mitmachen.
CNE – ganz ok.
Wäre umsonst aber besser gewesen.
Und was macht man sonst so in Toronto? Man verlässt die Stadt. Also zumindest mal für nen halben Tag. Denn rund eineinhalb Stunden entfernt, an der Grenze zu den USA, lockt eine der Hauptattraktionen Nordamerikas. Für die besonders viele Hotels bereit stehen.
Aber wen kümmert die Stadt drumrum? Hier geht’s um das Wasser.
Was sich hier in kaum vorstellbaren Massen nach unten wälzt, kennt der Tourist unter dem Namen Niagara Falls. Rund 1 Million Badewannen stürzen sich pro Sekunde in die Tiefe.
Das Spektakel lässt sich auf vielerlei Arten bewundern. Im Regencape auf einem der vielen Touriboote…
…im Regencape auf einer Terrasse am Wasserfallende…
…oder ganz ohne Regencape als Selfie-Hintergrund.
Romantik liegt in der Luft. Zwischen tausenden von Touristen.
Nicht.
Zurück in Toronto verzichte ich weitgehend auf die Streetcars und laufe. Das ist eh die beste Gelegenheit, um die Stadt besser kennenzulernen. Was auffällt ist, wie gut sich in der Metropole alte und neue Gebäude ergänzen.
Diese Eigenschaft macht einen nicht unerheblichen Teil des Charmes Torontos aus. Auch wenn es so mancher Architekt dann doch übertreibt.
Ist Toronto tagsüber schon durchaus sehenswert, verwandelt die Nacht die verbleibenden hässlichen Entlein in schöne Schwäne. Den Platz an der City Hall etwa kann man sich bei Tageslicht getrost sparen – im Schutz der Dunkelheit allerdings blüht dieser Ort auf.
Ultimativer Tipp für die Dunkelheit sind allerdings die Toronto Islands. Ein wirklich liebenswertes Fleckchen. Für gerade mal 7 Dollar bringt mich die Fähre vom Stadtufer zur Inselgruppe im Ontariosee – in City-Sichtweite.
In der Dämmerung haben die vielen kleinen Eigenheime und Ferienwohnungen hier einen besonderen Charme.
Mein Favorit: das Insel-Feuerwehrhäuschen.
Die Fahrt zurück in die Stadt ist ein Erlebnis. Es weht eine frische Brise, die Lichter Torontos kommen immer näher und trotzdem ist man noch weit genug weg. Von all dem Trubel, den langsamen Streetcars, den vielen Touristen.
In diesem Moment kann ich mit Fug und Recht behaupten:
„I had a nice stay.“