Ein Roadtrip durch Nordamerika. In Farbe.
…and back again.
Und dann steh ich plötzlich wieder am Hafen in Baltimore. Dort, wo vor knapp sechs Monaten alles begonnen hat.
Ich gebe die Schlüssel meines Autos an eine Mitarbeiterin des Hafens, sage tschüss und nehme den Bus Richtung New York JFK.
Das war’s dann also.
Ein bisschen stolz bin ich ja schon auf diesen Wagen. Hatte er in Deutschland noch kurz vor Abreise mit einem Elektroschaden für schlechte Stimmung zwischen uns gesorgt, machte er es in Amerika mit tadellosem Verhalten wieder gut – obwohl ich dem Wagen einiges zugemutet habe. Ewig lange Highways, sandige Wege und Schotterpisten hat er mit Bravour gemeistert. Fahrten bei 40 Grad und drüber, kein Problem. Er hat bereitwillig die amerikanische E10-Plörre genommen, dafür aber nach sehr viel Öl verlangt. Und auch wenn er mangels Motorpower oft nur schwer die Berge hochgekommen ist – schlapp gemacht hat er nie.
Wenn das Auto in wenigen Tagen wieder die Reise übers Meer antritt, bin ich längst wieder daheim. Aber ich werde ihn gebührend in Empfang nehmen. Und dann gibt’s auch endlich eine neue Scheibe.
Hat er sich verdient.
Ich muss es zugeben: Zum Ende hin hat sich dann doch eine gewisse Reisemüdigkeit eingestellt. Keine Frage, die Abschlussroute über Scranton und Philadelphia war nicht uninteressant (siehe DIE BILDER). Aber ich merke, dass es Zeit ist, die Heimreise anzutreten. Die Campgrounds werden leerer, das Wetter schlechter, die Nächte kälter, die Tage kürzer. Eine meiner letzten Auto-Mahlzeiten auf einem Campground in der Nähe von Scranton habe ich im Dunkeln zu mir genommen.
Allerdings: Nur um direkt im Anschluss mit ein paar amerikanischen Zufallsbekanntschaften (Hobbyradfahrer) an deren Lagerfeuer zu sitzen und Bier trinkend über Trump und die Welt zu diskutieren.
So ist es häufig gelaufen auf meiner Reise. Viele Leute habe ich über mein Auto kennengelernt, was stets neugierig bestaunt wurde. Andere sind mir auf Wanderwegen über den Weg gelaufen – wie etwa eine Reisegruppe im Monument Valley, die mich erst zum Bier, dann zum Pizzaresteessen eingeladen hat. Ich habe (fast) ausnahmslos nette Menschen getroffen, sowohl in den USA als auch in Kanada. Hilfsbereit, interessiert, kommunikativ.
Daher ist die Antwort auch recht einfach, wenn ich nach dem Highlight meines Road Trips gefragt werde: die Menschen. Klingt nach langweilig esoterischem Gelaber, ist aber die Wahrheit.
Das ist das ältere Pärchen in Florida, das mich auf einen Wodka an ihrem Camper einlädt. Wir sind in dieser Vollmondnacht die einzigen auf dem Campground, die noch wach sind. Es läuft Countryradio, es gibt Snacks und Diskussionen über die amerikanische Politik (sie hat Trump gewählt, er Hillary). War ein langer Abend.
Da ist meine kanadische Campgroundnachbarin in Vancouver, Ende 40/Anfang 50, die mir ein Zimmer ihres Hauses zum Übernachten anbietet, sollte ich mal in ihre Gegend kommen. Nicht ohne vorsorglich zu erwähnen, dass ich mir keine Sorgen machen müsse, sie sei schließlich viel zu alt für mich. Dann zeichnet sie mir noch die Highlights Vancouvers auf ein großes Stück Pappe auf. War hilfreich.
Da sind aber auch die drei jungen Amerikaner, die mich in Whistler spontan mit zum Feiern nehmen (inklusive einem „Hangover“-Asiaten, der uns die ganze Zeit Drinks spendiert).
Oder das Paar, das mit einem deutschen Sprinter-zum-Camper-Umbau schon die halbe Welt bereist hat und Dokus beim SWR veröffentlicht hat. Oder die Campgroundbesitzerin im kanadischen Fredericton, die mir einfach einen Gratis-Stellplatz gibt. Oder…man könnte diese Aufzählung noch lange weiterführen…
Natürlich gibt es auch traurige Begegnungen. Mit den vielen vielen Obdachlosen etwa, die vor allem in den Großstädten das Bild prägen. Die sich in Hauseingänge verkrochen haben, auf Parkbänken schlafen oder einfach mitten auf dem Gehweg. Viele haben sich längst aufgegeben, betäuben sich mit Alkohol und anderen Drogen – solange bis sie nur noch merkwürdiges Zeug vor sich hin brabbeln oder imaginäre Menschen anschreien. In gewissen Gegenden und zu gewissen Uhrzeiten erinnern manche amerikanische Straßen frappierend an „The Walking Dead“. Und mit diesem Vergleich will ich mich keineswegs über diese Menschen lustig machen – es ist schlicht traurig, in einem der reichsten Länder der Welt solche Zustände zu sehen.
Manchmal machen einen auch nur kleine Details nachdenklich. Etwa wenn mir meine 50-jährige Campgroundnachbarin in Halifax erzählt, dass sie zusammen mit ihrem Sohn reist. Allerdings schiebt sie dann schnell hinterher, dass sie mit ihrem Sohn ihren Hund meint.
Es gibt viele einsame Menschen in Amerika.
Aber eben auch viele, die stolz auf ihr Land sind. Die Amerikaner sowieso, die Kanadier stehen dem jedoch nur wenig nach. Die Flagge-pro-Haus-Quote ist zwar in den USA um einiges höher, doch auch das rote Ahornblatt weht beim Nachbarn im Norden vor vielen Grundstücken. Es gibt aktuell genug Gründe, diesen Patriotismus zu kritisieren. Dennoch muss man festhalten: Es gibt wohl kaum Länder auf der Welt, die derart abwechslungsreich und faszinierend sind (und nein, ich habe sie noch nicht alle gesehen, ich behaupte das hier einfach). Die so viele Highlights vereinen.
Das wieder auflebende New Orleans, mit seiner irre guten Livemusik-Party-Straße und einem extrem spannenden Weltkriegsmuseum.
Der Zion Nationalpark in Utah, bei dem man entweder stundenlang in einem Fluss wandern kann oder einen steilen und schmalen Weg einen Berg hinauf, der jeden mit Höhenangst den Schweiß auf die Stirn treibt.
Vancouver, eine Stadt mit Bergen, Strand, schöner Skyline sowie einer Insel, an deren Küste sich Orcas tummeln.
Die kanadischen Nationalparks Banff und Jasper mit türkisblauen Seen, Wasserfällen, Bergen und Bären.
Auf dem Icefields Parkway nach Jasper
Und Nova Scotia, mit kleinen romantischen Fischerdörfchen, keltischer Fiddlemusik und Elchen.
Überhaupt ist die Tierwelt Nordamerikas ein weiteres Highlight dieser Reise. Da kommen morgens große Wasservögel oder Eichhörnchen zum Frühstück, da stehen Hirsche, Bären und Elche plötzlich am Wegesrand, Adler kreisen in der Luft – und auf der Campgroundtoilette grüßen Gürteltiere, Frösche und Echsen. Kennt man von Deutschland jetzt nicht wirklich.
Leider sieht man auch unglaubliche viele Tiere, die die Begegnung mit Autos nicht überlebt haben. Vor allem im östlichen Kanada liegen tote Waschbären alle fünf Kilometer auf und neben der Straße. Friedhof der Kuscheltiere – nicht schön. Zum Glück hab ich noch in den letzten Tagen ein lebendes Exemplar in Toronto gefunden.
Er und sein Kumpel haben es sich in den Müllcontainern des Glen Rouge-Campgrounds gemütlich gemacht.
Vielleicht kommen die beiden auch einfach nicht mehr raus. Die Wände sind steil. Aber verhungern werden sie wohl nicht.
Ich werde bestimmt viel vermissen…
Die vielen tierischen Begegnungen, die oft ganz unerwartet kommen. Die vielen freundlichen Menschen, die sich beim Verlassen des Busses beim Fahrer bedanken. Die vielen Nationalparks, die dem Wort Natur eine ganz neue Bedeutung geben. Die vielen Bars, in denen Livemusik gespielt wird. Die vielen spektakulären Straßen, die Stau nur aus Erzählungen kennen. Und noch vieles mehr.
172 Tage. Knapp 35.000 Kilometer. Hin und wieder zurück. So sieht’s dann aus wenn’s fertig ist:
Ich danke für euer Interesse an dieser Reise. Ich denke (und hoffe), es wird nicht die letzte gewesen sein. Beim nächsten Mal nerve ich euch aber nicht mit irgendwelchen kruden Texten und Facebook-Posts. Versprochen. Oder doch?
Ach, was weiß ich…
„Die Straße gleitet fort und fort,
weg von der Tür, wo sie begann,
weit über Land, von Ort zu Ort,
ich folge ihr, so gut ich kann,
ihr lauf’ ich raschen Fußes nach,
bis sie sich groß und breit verflicht’
mit Weg und Wagnis tausendfach.
Und wohin dann? Ich weiß es nicht.“
– J.R.R. Tolkien
Lieber Martin,
vielen Dank für die tollen Berichte und Bilder.
Freue mich, dass du heil und gesund zurück bist und auch gleich beruflich wieder voll einsteigen kannst.
Alles Gute für dich!
Liebe Grüße!
Anette
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Lieber Martin,
ich habe Deinen Blog im letzten Jahr immer gerne gelesen; viel gelächelt und mich stets auf Neues gefreut! Da nun auch bei mir wieder eine kleine Reise in Richtung Staates ansteht, habe ich mich zur Einstimmung noch einmal, mit großer Freude, ein wenig durch Deine Reiseberichte „gewühlt“! – Lebe bitte sparsam und bescheiden, so dass Du zeitnah zu einem neune Trip aufbrechen kannst 😉
Konstantin
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