Ein Roadtrip durch Nordamerika. In Farbe.
Die Wahnsinns-Stadt
Back in the USA! Zugegeben, eigentlich wollte ich den Trans Canada Highway nach Osten ohne Unterbrechung durchfahren. Aber so sehr mich Kanada im Westen beeindruckt hat, so unspektakulär ist dieses riesige Land in seiner Mitte. Mein nächstes kanadisches Ziel Toronto könnte ich über die endlosen Weiten Ontarios erreichen – oder (sogar schneller) über die Vereinigten Staaten.
Wie praktisch, dass Chicago genau auf dem Weg liegt. Eine echte Wahnsinns-Stadt.
In jeder Hinsicht.
Wer an Wolkenkratzer in Amerika denkt, hat wohl automatisch New York im Kopf. Doch die Skyline Chicagos braucht sich wahrlich nicht dahinter verstecken. Ich lehne mich hier vielleicht weit aus dem Fenster, aber auf mich macht das Stadtbild der Metropole Illinois‘ sogar den schöneren Eindruck.
Der Riverwalk am Chicago River ist ein Muss für einen ersten Eindruck der Stadt. Zu Fuß ein echtes Erlebnis, vorbei an Menschen, die sich auf ihren Yachten Drinks schmecken lassen…
…oder sich auf den Weg zu den unzähligen Bars und Restaurants der Stadt machen.
Wer mindestens 30 Dollar ausgeben will, nimmt ein Touri-Boot. Muss dann allerdings auch warten bis die Centennial Fountain eine Pause macht – und das Boot vorbeilässt.
Wer sich nicht mit dem Kutter umherschippern lassen will, muss dennoch aufpassen, nicht ins Wasser zu fallen – schließlich hat man immer den Kopf gen Himmel gerichtet.
Ich sage das nicht gerne, aber der Trump Tower gehört zu den schönsten Wolkenkratzern hier in Downtown. Aber er ist nicht der einzige Augenschmaus. Schicke Glasfassaden…
…wechseln sich munter mit historisch anmutender Architektur ab.
Schwindelfrei sollten auch die Besucher dieses Parkhauses sein:
Um zu Chicagos berühmtestem Gebäude zu gelangen, muss man von hier allerdings einige Blocks laufen.
Ich kann mich noch gut an mein erstes Guinness-Buch der Rekorde erinnern. Das war von 1994 (ja, ich bin so alt) und zeigte damals einen riesigen schwarzen Kasten mit zwei riesigen weißen Antennen: den „Sears Tower“, das höchste Gebäude der Welt.
Gut, mittlerweile heißt das Ding „Willis Tower“ und ist mit seinen 442 Metern nur noch auf Platz 20, aber hätte mir damals, mit 12, jemand erzählt, ich würde einmal auf diesem höchsten Wolkenkratzer der Erde stehen, ich hätte ihm den Vogel gezeigt.
Aber nun stehe ich tatsächlich in der Schlange, um den Aufzug zur Aussichtsetage zu nehmen. 24 Dollar und 2 Stunden Wartezeit später bin ich oben. Nur um praktisch gar nichts zu sehen. Denn leider wurden die Eintrittsgelder anscheinend für alles mögliche verwendet – nur für die Fensterputzer war man offensichtlich zu geizig. Und so muss man als Reiseblogger schon genau hinsehen, um eine kleine Lücke in der schmierigen Scheibe für ein Foto zu finden (siehe Titelbild).
Um ein Gefühl für die Höhe zu bekommen, bietet sich das Skydeck an (nochmal eine Dreiviertelstunde anstehen). Der Glasboden ist auch nicht geputzt, bietet aber dennoch einen nicht alltäglichen Blick nach unten.
Allerdings ist der Blick von unten dann doch wesentlich klarer.
Das nächste Mal bringe ich einen Lappen mit.
Wenn man so durch Chicago schlendert, bereut man schon etwas, dass man selbst nicht in einer solchen Stadt lebt. Es gibt hier so ziemlich alles, was das Großstadtherz begehrt. Den Millenium Park etwa, auf dessen künstlerisch gestalteter Bühne im Sommer Gratiskonzerte vor beeindruckender Kulisse stattfinden.
Gratis sind, wie in vielen amerikanischen Städten, auch die Sportanlagen. Ich kann mich nicht entsinnen, in Deutschland jemals Tenniscourts für umme gesehen zu haben. Hier in Chicago gehören sie einfach dazu.
Auch Kunst wird geboten. Diese Installation im Millennium Park zeigt Gesichter von Einwohnern Chicagos an deren Seiten Wasser hinunterläuft.
Doch die Besucher des Millennium Parks kommen weder wegen Tennis, noch wegen Gesichtern auf Steinblöcken.
Sie kommen wegen einer Bohne.
Das Kunstwerk „Cloud Gate“ ist Chicagos Publikumsmagnet und Selfie-Hintergrund Nummer eins. Aufgrund seiner Form aber eigentlich nur „The Bean“, die Bohne, genannt. Macht Sinn.
Ob Gruppenreisen, Hochzeiten oder Geburtstage…kein Chicago-Ausflug ist komplett, ohne sich nicht einmal vor der Bohne fotografieren zu lassen.
Ich bin ja überhaupt kein Selfie-Typ…aber ich habe gehört, kein Chicago-Ausflug ist komplett, ohne sich nicht einmal…na gut.
Ich finde ja, die Bohne sieht fast aus wie ein außerirdisches Raumschiff, was kurz davor ist, Chicago in Schutt und Asche zu legen. Oder wie eine Szene aus dem Film „Inception“.
Die Hektik und der Trubel der Großstadt sind nicht so deins? Auch dafür hat Chicago eine Lösung. Den Lincoln Park etwa. Nur drei Bahnstationen von Downtown entfernt, öffnet sich dem stressgeplagten Großstädter eine idyllische Oase.
Tatsächlich ist der Lärm der Metropole hier kaum noch zu vernehmen. Allerdings muss man aufpassen, nicht den ganzen Fotografen durchs Bild zu laufen, die hier Hochzeitspaare ablichten.
Und davon gibt es einige hier. Viele.
Fotografieren lässt sich aber nicht nur der „schönste Tag des Lebens“ sondern auch das ein oder andere nicht-menschliche Säugetier.
Wie, wat jetzt…Nashörner? Jawohl. Schließlich hat der Lincoln Park einen richtigen Zoo zu bieten (also so richtig, mit Tieren). Und der Clou des ganzen…er ist auch noch völlig kostenlos.
Nicht wirklich zu erwarten bei einer sonst ziemlich teuren Millionenstadt.
Jene, die weder auf Tiere noch auf Hochzeiten stehen, finden ihr Glück vielleicht am Wasser. Chicago liegt nicht umsonst direkt am Michigansee. Aus der Lage muss man auch was machen. Und Chicago macht.
Bei gutem Wetter locken diverse Strände mit diversen Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung.
(Nicht nur) bei schlechtem Wetter ist der Navy Pier einen Ausflug wert. Sei es für einen heißen Kaffee oder einen kühlen Drink – oder einfach nur für den Blick auf die wellenumspülte Zwei-Türme-Halle, nebst Leuchtturm.
Und das alles ist auch noch fußläufig von der Innenstadt zu erreichen.
Nice.
Es ist wahrlich nicht schwer, sich vorzustellen, wie viele Menschen von einem Leben in Chicago träumen (nicht nur in Clueso-Songs). Denn die Stadt ist ein Traum.
Und ein Alptraum.
Es genügt ein kurzer Blick in die Online-News zu Chicago, um ein ganz anderes Bild dieser Stadt zu bekommen. „Chicago im Griff der Gewalt“, „Hunderte Gangs morden auf den Straßen“, „Welle der Waffengewalt“ – die Schlagzeilen überbieten sich mit Schauergeschichten. Nur, diese Geschichten sind leider wahr.
2017 wurden in Chicago mehr als 650 Menschen erschossen, 2016 waren es 800. In Chicago sterben mehr Menschen durch Waffen als in New York und Los Angeles zusammen. Die meisten sind schwarz. Und die meisten gehören irgendeiner Gang an.
Auch in meinen drei Tagen in Chicago sterben wieder Menschen. Drei werden erschossen, mehrere weitere verletzt.
Am schlimmsten sei es in der South Side, berichten die Zeitungen, ein Viertel, in dem einst Michelle Obama aufwuchs. Hier herrschen die Gangs, die Aufklärungsquote der Morde ist gering. Die Gründe: Armut, viele illegale Waffen, viele rivalisierende Gangs. Und während in anderen Städten Sozialprogramme greifen, wo die Kriminalitätsrate zurückgeht (etwa in New York), scheint es in Chicago immer schlimmer zu werden.
Kriegt man als Chicago-Downtown-Besucher davon etwas mit? Nicht wirklich. Fühlt man sich unsicher? Kaum. Dennoch bleiben die Schlagzeilen im Kopf.
Es ist 22 Uhr am Samstag Abend, als ich Chicagos Innenstadt mit der Hochbahn verlasse. Ein letzter Blick auf das ehemals höchste Gebäude der Welt…
Die Bahn ist ganz gut gefüllt, keine Anzeichen von gewaltbereiten Gangmitgliedern. Dennoch bin ich ganz froh, nach zehn Minuten Fahrt wieder im Auto zu sitzen und die Nacht auf dem 35 Minuten entfernten Campground zu verbringen.
Chicago ist eine wahnsinnig lebenswerte Stadt.
In der ein Menschenleben wahnsinnig wenig wert ist.
Du hast diese Stadt wahnsinnig witzig beschrieben, das macht Lust sie mal zu besuchen. Gute Weiterreise!
LG Gunhild
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Ein sehr interessanter Einblick, der mich um einiges an Wissen bereichert hat!
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