Ein Roadtrip durch Nordamerika. In Farbe.
Won’t go back to Winnipeg
Nach Tagen endloser Prärie in Alberta und endloser Prärie in Saskatchewan, einem kurzen Stopp im nicht so richtig hübschen Saskatoon und einer kurzen Durchfahrt des noch viel weniger hübschen Regina hatte ich mich tatsächlich auf diese große Stadt in Manitoba (Prärieende) gefreut. Auch wenn ich bislang über Winnipeg nur gehört hatte, dass die Stadt ein Gangproblem hat – und dass man den Norden der Stadt meiden sollte. Aber man sollte auch Teile des Nordens Kassels meiden, also who cares?
Einen ersten (ganz guten) Eindruck der Stadt vermittelt das Ufer des Red River. Denn hier präsentieren sich gleich zwei der Hauptattraktionen der Stadt.
Die Esplanade-Riel-Brücke ist seit 2004 für Fußgänger (und nur für Fußgänger) freigegeben und lässt den künstlerischen Ansatz durchaus erkennen. Besonders wenn die Sonne tief steht (siehe Titelbild) macht sie einiges her. Doch ist sie nur der Wegbereiter für DAS architektonische Highlight Winnipegs.
Nein, diese Gebilde sind es noch nicht, das ist nur irgendeine verspielte Spiegelkunst. Ich spreche über das Ding im Hintergrund.
Das erst vor knapp vier Jahren eröffnete Museum für Menschenrechte.
Was aussieht wie die galaktische Laserkanone von Dr. Evil soll tatsächlich das Gute im und das Gute von Menschen präsentieren. Ich muss zugeben, mir war nicht so nach Museum, daher gibt’s keine Bilder von drinnen. Aber bestimmt gar nicht sooo unspannend wie es klingt.
Wer aber aufmerksam um das 310-Millionen-Dollar-Projekt schlendert, dem begegnet womöglich ein sehr bekannter Menschenrechtler.
Es ist der gute alte Mahatma Gandhi, der hier seinen abendlichen Spaziergang unternimmt.
Hier hat sich Winnipeg sichtlich Mühe gegeben, um etwas Außergewöhnliches zu schaffen.
Wer nach einem Spaziergang über die Brücke, durchs Museum oder durch den angrenzenden Park Hunger bekommen hat, der findet sein Glück in der Markthalle der „Forks“ (so heißt das Park-Shopping-Markt-Gebiet unweit des Museum). Hier gibt’s so ziemlich alles, was der Magen begehrt.
Und es lässt sich sehr angenehm dinieren. Oder mittagessen. Oder frühstücken. Voll ist es zumindest immer.
Winnipeg ist auch die erste Stadt, in der ich das kanadische Fast-Food-Nationalgericht probiere. „Poutine“ besteht aus Fritten, Käsebruchstücken und darübergegossener Bratensoße. Schmeckt wie es klingt. Brauchste dir danach nichts mehr vornehmen.
Aber ich bin ja nicht zum Fressen hier. Und zum Glück komme ich genau richtig, um eine der größten Veranstaltungen in Winnipeg zu erleben: das „Folklorama“. Das ist so etwas wie die Expo in klein. Hier präsentieren sich über Wochen hinweg viele Nationen mit ihren Besonderheiten, ihren Speisen, ihren Tänzen.
Und zwar laut Flyer in „Pavillons“.
Diese Pavillons sollen über die ganze Stadt verteilt sein. Also mache ich mich auf die Suche. Was sofort auffällt: Für ein Festival sind die Standorte der Pavillons so weit verstreut, dass so etwas wie Festivalatmosphäre im Keim erstickt wird. Der deutsche Pavillon etwa soll sich nördlich der Innenstadt befinden. Dort komme ich aber nicht an. Denn nach etwa einer halben Stunde Fußmarsch lande ich in einem Viertel, das sehr nach Ganggegend schreit. Touristen gibt es hier schon lange nicht mehr, die Straßenzüge und die wenigen zwielichtig dreinblickenden Gestalten vermitteln nicht den Eindruck, als sollte hier ein Teil eines Volksfestes gefeiert werden. Ich erinnere mich. Norden? Meiden! Ich mache kehrt.
Aber in der Innenstadt soll es ja auch einige Pavillons geben. Aber auch Winnipegs Hauptstraße lässt weniger auf ein Festival schließen. Die wenigen Menschen, die einem hier begegnen, sind zu einem großen Teil Bettler aus Mittelamerika. Schilder, die auf ein Folklorama hindeuten, gibt es auch nicht. Und keine Pavillons. Dafür eine schon angetrocknete Blutspur auf dem Gehweg, der man ziemlich lang folgen kann, bevor sie abbricht. Ein Unfall? Eine Schlägerei am Abend zuvor? Gangprobleme? Ich weiß es nicht.
Sowieso hat Winnipeg hier in der Innenstadt eine eigenartige Atmosphäre. Es ist nicht mal so, dass die Stadt besonders hässlich wäre. Es gibt durchaus einige Lichtblicke…
Aber dennoch: Ein Wohlfühlgefühl kommt nicht auf. Und was ist denn jetzt mit diesem Folklorama? Ich frage an der Touri-Info. Tatsächlich existiert das Festival. Allerdings gibt es keine Pavillons. Dafür Veranstaltungen IN irgendwelchen Gebäuden. Ein etwas genauerer Blick in den Flyer hätte mir das auch früher verraten. Ok, wenigstens einen dieser „Pavillons“ will ich sehen. Ich entscheide mich für Chile (war gerade in der Nähe).
Der Veranstaltungsort ist schon mal so exotisch wie eine Cocktailbar in Castrop-Rauxel. Eine runtergekommene Sporthalle in einem Wohngebiet.
Aber drinnen geht bestimmt der Punk ab. Chile? Ich erwarte nicht weniger als heiße Tänze, scharfe Speisen, exotische Gerüche und Latinoflair.
Und bekomme das:
Gut, das war’s dann für mich mit dem Folklorama.
Zugegeben, später am Abend wird die Halle dann doch noch recht voll und es wird auch getanzt – aber von einem groß angekündigten Festival erwartet man dann doch was anderes. Satz mit X.
Da sagt selbst der Busfahrer:
Alles schlecht in Winnipeg? Ach was! Neben einigen durchaus ansprechenden Gebäuden und einem recht ansprechenden Nachtleben gibt es auch einen ziemlich ansprechenden Park.
Der Assiniboine Park (ja, benannt nach dem Indianerstamm, wir erinnern uns aus Winnetou) ist etwa 15 Autominuten von Downtown entfernt, belohnt aber den Weg. Nicht nur mit großen Grünflächen und Ententeich, auch ein Englischer Garten ist nicht weit.
Jener wird belagert von einigen Hochzeitspaaren (macht ja auch als Motiv einiges her) und noch mehr Schmetterlingen (macht ja auch als Motiv einiges her).
Ein kleines Paradies für Hochzeits- sowie Naturfotografen.
Zugegeben, das hier Beschriebene ist alles wesentlich weniger dramatisch als es klingt. Es wird viele Leute geben, die sich in der Stadt sehr wohlfühlen. Doch bleibt für mich die wenig einladende Atmosphäre Winnipegs haften. So dass ich einen weiteren Besuch der Stadt in nächster Zeit nicht plane.
Schon gar nicht zum Folklorama.