Ein Roadtrip durch Nordamerika. In Farbe.
USA! USA!
Nach knapp drei Monaten ist es soweit: Ich habe die Vereinigten Staaten von Amerika verlassen. Diese Zeilen schreibe ich in der schönen kanadischen Stadt Vancouver (Bericht folgt), sie sollen allerdings noch einmal von den USA handeln. Ein kleines Zwischenfazit – auch wenn ich mit 24 weniger als die Hälfte der US-Staaten gesehen habe und möglicherweise noch einmal „rübermache“. Doch in den vergangenen Wochen habe ich Land und Leute recht gut kennenlernen dürfen, so dass ich mir eine Meinung erlauben darf.
Darüber wurde auf diesem Blog schon viel geschrieben, so dass ich mich hier kurzhalten möchte. Das Land Amerika ist großartig. Muss man einfach so sagen. Wohl kein Land auf der Welt ist derart abwechslungsreich. Mega-Metropolen und Geisterstädte, feine Sandstrände und grüne Berge, Regenwälder und Wüsten, gewaltige Wolkenkratzer und hölzerne Kirchen, staubige Landstraßen und endlose Highways…
Apropos…
Auch hier sind die Unterschiede deutlich. Während man in Staaten wie New Mexico auch gerne mal ganz allein durch Berge und Täler braust, sollte man in Los Angeles bei wichtigen Terminen gar nicht erst versuchen, das Auto zu nehmen. Von „extrem“ bis „nicht vorhanden“ kann der Verkehr in den USA alles.
Ein Glücksspiel sind auch die „Straßen“. Anfangs habe ich mich noch über die vielen Reifenteile gewundert, die etwa alle 100 Meter auf den Highways liegen. Mittlerweile wundert es mich, dass es nicht noch mehr sind. Wer sich in Deutschland über Schlaglöcher oder Bodenwellen aufregt, ist noch nie in Amerika gefahren. Der Gedanke „Das kann doch nicht euer Ernst sein“ ist mir nicht nur einmal durch den Kopf gegangen. Selbst in den Großstädten besteht so manche Straße nur aus Schlaglöchern. Und die Auffahrten zu Tankstellen haben zum Teil so tiefe Bodenwellen, dass man es sich zweimal überlegen sollte, seinen Opel Corsa (mit bösem Blick) noch 3 cm tieferzulegen. Aber wer würde in Amerika schon solche Autos fahren?
Hier fährt man Pick Up. Ob man einen braucht oder nicht. Das sei halt so ein Männlichkeitsding, habe ich auf Nachfrage erfahren. Und die Frauen liebten die hohe Sitzposition und die Sicherheit dieser Ungetüme, die sich „RAM“ oder „SUPER DUTY“ nennen.
Während in vielen Städten Elektrobusse oder Hybrid-Taxen Sprit sparen, bläst der Durchschnittsamerikaner selbigen volles Rohr wieder raus. Kleinwagen wie einen Corsa gibts hier gar nicht erst. Nicht amerikanisch genug.
…klappt hervorragend. Und zwar selbst dann, wenn’s nicht klappt. „Campgrounds“ gibt es praktisch an jeder Ecke. Einfachere und günstige in den „State Parks“, etwas gehobenere und etwas teurere private Plätze sind meist in unmittelbarer Nähe.
Die Amerikaner lieben Camping. So sehr, dass viele von ihnen gleich auf einem Campground wohnen. Dementsprechend sehen auch ihre „Wohnmobile“ aus, hier RVs (Recreation Vehicle) genannt. Mächtige Teile, die oft die Größe eines Reisebusses haben, gerne mit einem „kleineren“ Wagen im Schlepptau.
Und sollte sich tatsächlich mal kein Platz finden lassen, weil der Campground entweder zu teuer oder zu voll ist (kommt vor allem in der Nähe von Nationalparks vor), dann findet sich fast immer eine Ecke auf einem Walmart-Parkplatz. Stellplatz, Wlan und Toiletten für umme. Habe ich einige Male genutzt.
Irgendwann hat man auf einem Roadtrip seine mitgebrachte Musik durch – dann muss das Radio übernehmen. Und die Auswahl ist selbst in den entlegendsten Gegenden nicht schlecht. Von Pop über Klassik bis Country ist alles vorhanden. Letzteres ist bei mir die meiste Zeit gelaufen, einfach weil es genau hier hin passt. Zwar werden aktuelle Stücke wie in Deutschland gefühlt jede Stunde wiederholt, aber ein paar Perlen sind dann doch dabei. Wer’s mag, kann allerdings auch umschalten…auf den Religions-Channel. Dort laufen von früh bis spät „Praise the lord“-Songs. Aber keine Kirchenlieder. „Motivierend“ und „aufbauend“ sollen sie sein. Es sind richtige Popsongs – die sich eben einfach mit Jesus beschäftigen, statt mit Geld und Girls.
Werbung ist auch so ne Sache in den USA. Die ist noch allgegenwärtiger als in Deutschland. Auf riesigen Billboards werben vor allem Anwälte um Kundschaft. Mit so ausgefeilten Slogans wie „One call, that’s all“. Es gibt aber auch gut gemachte Werbung – wie hier vor einer Bar in Las Vegas.
Komplett bescheuert wird es allerdings dann, wenn es um das Bewerben von Medikamenten geht. So einfach wie „Fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker“ macht sich’s der Amerikaner nämlich nicht. Sowohl im Radio als auch im TV müssen die (gängigsten) Nebenwirkungen genannt werden. Um Sendezeit zu sparen, wird das dann in doppelter Sprechgeschwindigkeit gemacht. Nur um das Produkt am Ende nochmal zu bewerben. Das klingt dann etwa so: „Kaufen Sie dieses Nahrungsergänzungmittel! Unbedingt! Es sei denn, sie sind schwanger. Oder haben ne Unverträglichkeit gegen Soja. Dann besteht die Chance, dass ihre Augäpfel rausfallen. Oder sie sterben! Sterben verdammt! Oh mein Gott, hat dieses Ding wirklich so viele Nebenwirkungen? Aber kaufen Sie unser Produkt! Es ist super!“
Noch ein Beispiel amerikanischer Idiotie? Da sitzt Sandra Bullock (aufgewachsen in Nürnberg) bei Jimmy Kimmel und soll deutsche Schimpfwörter sagen. Als sie dann aber den Begriff „Arschloch“ präsentiert, wird ihre Stimme nicht nur weggepiept sondern auch noch ihr Mund verpixelt, so dass der 12-jährige Kevin am Fernseher das böse Wort nicht von den Lippen ablesen kann. Ridiculous.
Man kann sich gesund in den USA ernähren. Man kann sich vegetarisch in den USA ernähren. Wenn man einen eisenharten Willen hat. Wenn man sich auf einem Roadtrip befindet und selbst im letzten Kuhdorf drei spottbillige Fast-Food-Restaurants-mit-Softdrink-free-refill locken, dann eher nicht. Auch das Frühstück in einem amerikanischen Diner ist nichts für Dinkelstangen-Enthusiasten.
Man muss dann halt mit Obst und hin und wieder einem Salat dagegenhalten. Und sich viel bewegen – was vor allem in den Nationalparks nicht schwer fällt. Einen signifikanten Gewichtsunterschied konnte ich zumindest bislang nicht feststellen.
Vorneweg: Ich mag die Amerikaner. Ich habe auf meinem Roadtrip unglaublich nette und hilfsbereite Menschen getroffen. Auch wenn das „How are you?“ oder kurz „Howdy?“ mehr Begrüßungsfloskel denn ernst gemeinte Frage ist, als Reisender (mit deutschem Nummernschild) wird man in den USA sehr gut aufgenommen. Mal wird man zum Abendessen eingeladen, oft bekommt man Reisetipps, sehr oft wird interessiert nach meinen Minicamper gefragt. Einmal bekam ich sogar 20 Dollar zugesteckt.
Selbst die Cops können nett. So wie der Polizist in Oregon, der mich auf dem Highway anhält, weil ich zehn Meilen zu schnell gefahren bin. Statt ner saftigen Geldbuße gibts nur ne Verwarnung. Dann erzählt der Mann, wie er in Deutschland selbst ein Ticket bekommen hat. Und warnt mich dann noch vor dem Campground, auf dem ich eigentlich absteigen will („komische Leute dort, fahr weiter“). Am Ende bedankt er sich, dass ich mich mit ihm unterhalten habe. Freund und Helfer – in den USA.
Allerdings: Das meiste, was man über die Amerikaner je gehört, gesehen oder gelesen hat, stimmt. Mag das Kino noch so ein klischeehaftes Bild der Menschen hier zeigen – man findet alle Typen tatsächlich wieder.
Und auch nur in einem Land wie Amerika ist ein Präsident Trump vorstellbar.
Wann immer man Einheimische trifft, etwa auf den Campgrounds, wird man häufig auf Donald Trump angesprochen. Was man denn als Deutscher von ihm halten würde. Meine Antwort ist dann oft, dass ihn wohl die meisten anfangs einfach für einen totalen Idioten gehalten haben. Aber sich gleichzeitig gefragt haben: Wie schlimm kann es denn werden?
Jetzt aber ist dieser Mann leider wirklich ernst zu nehmen. Ein Mann, der andere Länder über Twitter angreift, der die Sicherheit der Welt bedroht, der am laufenden Band unwahre Dinge sagt, der es zulässt, dass Kinder von Asylsuchenden ihren Familien weggenommen werden. Es ist wahrlich schlimm geworden.
Ich habe auf meiner Reise Menschen getroffen, die sich für Trump schämen. Die sich um Amerikas Bild in der Welt große Sorgen machen. Die hoffen, dass er die vier Jahre nicht durchhält. Dann aber gibt es Menschen, die nach wie vor zu ihm stehen, die stolz sind, Trump gewählt zu haben. So wie Tom & Jerry.
Tom ist um die 60, Rentner, und lebt allein in einem großen Wohnmobil auf einem Campground zwischen Miami und den Everglades. Zwischendurch bringt er als Uber-Fahrer Menschen zum Miami Airport – die meiste Zeit ist er aber auf dem Campingplatz anzutreffen. Tom lädt mich zum Barbecue ein. Da er sich hier häuslich eingerichtet hat, ist alles wichtige vorhanden. Auch Erinnerungen. Army-Devotionalien sind am und im Camper zu finden. Tom ist Vietnam-Veteran und stolz auf seine Vergangenheit im amerikanischen Militär. Noch stolzer ist er allerdings auf seinen Sohn, der gerade mit den Marines in Asien stationiert ist.
Mit Tom zu reden ist spannend. Weil er genau die Dinge sagt, die man von einem Trumpwähler erwartet. Etwa: „Nur ein guter Mensch mit einer Waffe kann einen bösen Menschen mit einer Waffe stoppen.“ Das Totschlagargument der Waffenlobby. Daher geht Tom auch nie ohne seine 9mm-Pistole aus dem Haus. Was soll man dagegenhalten? Dass ohne Waffen Schulmassaker und Amokläufe eingedämmt werden könnten? Wahrscheinlich gibt es dafür schon zu viele Waffen in Amerika. Hier in der Gegend um Miami sei eine Waffe aber auch nötig, meint Tom. „Du kriegst ein Appartment für 1000 Dollar im Monat“, erzählt er. „Das ist dann aber in einem Viertel, in dem du nachts an deiner Wohnungstür mit geladener Shotgun auf Eindringlinge wartest.“
Tom ist auch großer Abtreibungsgegner. Er habe einmal eine Frau, die er gar nicht so toll fand, geschwängert. Aber eine Abtreibung sei für ihn nicht in Frage gekommen. „Ich habe sie stattdessen geheiratet“, erzählt er, nicht ohne Stolz. Zusammen sind die beiden nicht mehr.
Ich erzähle, dass es auch in Deutschland Probleme gibt, dass eine rechte Partei auf dem Vormarsch ist, wegen den vielen Flüchtlinge, die ins Land kommen. Ich fürchte, dass Tom die AFD ziemlich sympathisch finden würde.
Zum Barbecue gibt es grilled chicken.
„Hey buddy, you’d like a soda?“ Jerry ist mein Campingnachbar im Nirgendwo nahe der Olympic Peninsula in Washington. Gut laufen kann er schon länger nicht mehr, also hat er sich vor seinen alten Camper, in dem er wohnt, eine Rollstuhlrampe bauen lassen. Jerry ist Ende 70/Anfang 80 und bekommt täglich Besuch von seiner Tochter, die viel für ihren Dad erledigt.
Alle Muslime seien Terroristen eröffnet mir Jerry, der sich auch von meiner Gegenrede nicht von seiner Meinung abbringen lässt. Auch Jerry war in Vietnam, nach seiner Aussage war er kein Niemand im Militär. Er sei „above top secret“ gewesen, erzählt er. Er wisse also mehr als andere Leute. Etwa, dass die Amerikaner das Wetter kontrollieren können – mit den Chem Trails, die aus den Flugzeugen kommen. Außerdem gebe es Aliens auf dem Mond. „Was glaubst du, warum seit 1972 niemand mehr dort war? Sie haben es uns verboten.“
Jerry öffnet Youtube und gibt nasa/aliens ein. Prompt kommt ein Video, das NASA-Sichtungen von fliegenden Untertassen zeigen soll. Als ich ihn darauf aufmerksam mache, dass doch bestimmt irgendein Medium, irgendeine Zeitung oder TV-Station diese unglaubliche Meldung von Aliens auf dem Mond oder Chem-Trails-Wetter gebracht hätte, winkt Jerry ab. „Die sind doch alle vom Staat kontrolliert.“ Hat da jemand AFD gesagt?
Ich habe dann mal ein bisschen gegoogelt. Und tatsächlich sollen ehemalige NASA-Astronauten von Aliens gesprochen haben. Sind wir doch nicht allein? Ich bin mir ziemlich sicher, dass einige von ihnen schon längst unter uns sind. Die Haarfarbe von Donald Trump kann nicht von dieser Welt sein…
Tom & Jerry (die wirklich so heißen) sind sehr freundlich und zuvorkommend. Man sich mit ihnen gut unterhalten, man kann manche Gedanken sogar nachvollziehen. Doch sie stehen für einen Teil Amerikas, der – ähnlich wie viele AFD-Wähler – nicht das große Ganze betrachtet. Sie sehen ihr eigenes kleines Reich bedroht. Durch welche Bedrohungen auch immer. „America first“, das würden beide wohl sofort unterschreiben.
„USA! USA!“ hallt es durch das Century Link Stadion in Seattle. Auf der Bühne steht Kenny Chesney, einer der größten Superstars der amerikanischen Countryszene. Sein Hit „All the pretty girls“ läuft seit knapp drei Monaten bei mir in Dauerschleife, großartig. Ich habe für 29 Euro ein Ticket ergattern können, die Stimmung während der 5-Stunden-Show ist fantastisch.
Zu Kenny Chesney erscheint man in Cowboystiefeln und Hut. Auch Bier für 11 Dollar den Becher wird literweise konsumiert. Dazu Burger. Hier ist Amerika ganz bei sich.
„USA! USA!“
So gänzlich kann man es den Amerikanern ja auch gar nicht verdenken. Wer in einem derart schönen Land wohnt, dem kann man einen gewissen Nationalstolz schwierig vorwerfen. Wer seinen Pick-Up-Truck nach der Arbeit nach Hause fährt, dort gutes Fleisch auf den Grill wirft und bei Countryklängen, Bier und netten Menschen den Sonnenuntergang betrachtet, dem kann man schlecht den Mund verbieten, wenn er „USA! USA!“ ruft.
Es gibt zwei Songs der Zac Brown Band, die diesen „american way of life“ gut zusammenfassen:
http://www.youtube.com/watch?v=KbO0LMGuj5o
http://www.youtube.com/watch?v=Sk5TsrmgEj4
Wer möchte da nicht gleich mit einstimmen…Tom und Jerry würden es bestimmt. Donald und Kenny auch. Um die Singenden mache ich mir keinen Kopf. Wenn aber aus Gesang „America first“ wird, aus Heimatverbundenheit Verbrechen am Grenzzaun, aus Liebe zum Land Hass auf Fremde, dann sollte man aufhorchen.
Muss man die USA mögen? Auf jeden Fall. Muss man die USA fürchten? Aktuell mehr denn je.
Zum Glück wohne ich in Deutschland. Da gibt’s keine Probleme.
Zum Glück gibt’s ja auch noch Laurel & Hardy und Harry & Sally. 🙂
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